Eine nicht ganz alltägliche Weihnachtsgeschichte zum Nachdenken

Ziellos läuft Sirina durch den schier endlos wirkenden Feenwald. Wie findet sie bloss hier wieder hinaus? Sie ist 35, eine gestandene, erfolgreiche Bankerin. Auf der Erde. Wie nur konnte sie sich von Sira, einer Botin aus dem Feenreich, dazu überreden lassen, mit ihr in den Feenwald zu reisen. Jetzt ist Sira verschwunden – und Sirina hoffnungslos verloren. Wie soll sie bei all diesen Wegen, die vor ihr sind, den richtigen finden, der sie dorthin bringt, wo sie hin will? 

«Hör auf deine innere Stimme. Sie kennt den Weg», flüstert eine Stimme in ihr Ohr.
«Ha! Leichter gesagt, als getan!», zischt Sirina. Von ihrer ausweglosen Situation genervt, beginnt sie eine Unterhaltung mit der Stimme, zu der sie keinen Körper finden kann. «Hier hat es unendlich viele Wege? Welcher ist der Richtige?»
«Das kommt darauf an.»
«Auf was?»
«Darauf, wohin du willst.»
«Zurück auf die Erde. Von wo ich gekommen bin.»
«Dann endest du wieder dort, wo du begonnen hast. Ist das wirklich dein Ziel?»
«Warum nicht? Dort kenne ich alles. Die Menschen, meine Arbeit, meine Wohnung. Alles ist vertraut, nichts unbekannt. Ich weiss, was ich alles besitze. Keine Überraschungen.»
«Ist das alles, was du vom Leben erwartest?»
«Ja…», antwortet Sirina gedehnt. Plötzlich ist sie sich nicht mehr so sicher. «Mein Leben ist gut», versucht sie die aufkommenden Zweifel zu unterdrücken.
«Gut. Aha. Gäbe es da nicht doch auch noch ein ‘super’ oder ‘genial’? Was hält dich davon ab, noch etwas Grösserem zu streben?»
«Einfach alles», antwortet Sirina stöhnend und setzt sich auf einen Baumstumpf.
«Wer oder was hindert dich daran, deine Träume zu verwirklichen? Das Beste aus dir herauszuholen?», hakt die Stimme nach.
Sirina schluckt – und überlegt.
«Eigentlich niemand», murmelt sie schliesslich, «ausser mir selbst.»
«Exakt. Jetzt sind wir deiner Rettung schon einen Schritt näher.»
«Ehrlich? Da komme ich nicht mit. Erklär mir, wie du das meinst.»
«Ganz einfach: Du erkennst, dass du dir selbst im Weg stehst. Nur du kannst etwas unternehmen, um dich aus deiner misslichen Lage zu befreien. Das ist genial!»
«Findest du?» Sirina kann dem Ganzen noch nichts Gutes abgewinnen. «Was kann ich tun?» Hilfesuchend blickt sie um sich. Baum um Baum reiht sich aneinander. Büsche, Efeu und Unterholz scheinen ein Durchkommen unmöglich zu machen.
«Schliesse deine Augen. Höre in dein Innerstes. Was wolltest du schon immer tun? Was hast du bis heute nicht gewagt?»
«Da gibt es einiges…»
«Welcher Traum lässt deinen Puls höherschlagen, nur wenn du daran denkst?»
«Hm. Es gibt da zwei Sachen.
«Entscheide dich. Nach dem Entscheid siehst du klar. Und dann läufst du los.»
«Wohin?»
«Dorthin, wo dein Herz dich führt. Du wirst sehen, die Bäume werden dir den Weg freigeben. Das Unterholz wird lichter mit jedem Schritt, den du in Richtung deines Traumes gehst. Das wichtigste jedoch ist: Du musst etwas unternehmen: vorwärtsgehen.»
«Und wenn ich mich dabei verirre?»
«Dann machst du einen Umweg, auf dem du viel lernst. Danach findest du wieder auf den richtigen Weg zurück.»
«Das klingt so einfach…»
«Ist es auch. Das einzige, was du brauchst, ist den Mut zu haben, den ersten Schritt zu tun.»
«Vielleicht. Lass mich noch eine Weile überlegen.»
«Bedenke: Wenn du dorthin zurückgehst, wo du alles kennst, bringt dich das nicht weiter in deiner Persönlichkeit.»
«Warum soll ich mich überhaupt weiterentwickeln?»
«Weil es Spass macht. Du hast unzählige Wege vor dir, die dich an einen schönen Ort im Feenwald bringen. Wähle – aber wähle gut.»
Die Worte der Stimme hallen noch lange in Sirinas Kopf nach, als sie sich schliesslich auf den Weg macht. Schritt für Schritt ihrem Traum entgegen – wenn sie es nicht tut, wer tut es dann für sie?

 

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